Was hat eigentlich eine Fabel (wie die Hyginus-Fabel über die Cura) in einem philosophischen Text verloren?

H. sieht in der Cura-Fabel ein "vorontologisches Zeugnis" zur "Bewährung" seiner "existenzial-ontologischen" Interpretation des Daseins als Sorge, dessen "Beweiskraft zwar nur geschichtlich" ist (197).

"Vorontologisch" schillert meiner Meinung nach zwischen
1. die Befunde der Existenzial-Ontologie schon im Blick, aber noch nicht über deren Begrifflichkeit verfügend.
2. noch nicht im Banne der historischen Ontologien, die ja nach H. alle ursprünglichen Impulse verdorben haben.

Existenzial-ontologisch ist das Dasein als "Sich-vorweg-schon-sein...." (192) "Sorge", ein Name zunächst nur für diese Bindestrichformel, später aber reichert er sich noch weiter an.

Die "antike Fabel der Cura", zwar von Hyginus überliefert und romanisiert, aber natürlich griechisch, ferner die Hinweise auf Herder und Goethe, dann auf Seneca, mögen für die These stehen, daß "vorontologisch" im Sinne von 2. man "immer schon" den Menschen als Geschöpf und Abbild der Sorge aufgefaßt hat" - und eben nicht primär als Kompositum aus Geist und Erde, - ferner als "temporales" Wesen (wegen der Mitwirkung von Saturn/Chronos).

Unterstellung: Die Dichter (weil sie Seher sind?) bleiben über die Zeiten näher am "Ursprung" oder am "Leben" als die Philosophen.

Klar ist: es geht H. um eine Fundierung der Ontologie in einer Sphäre, die nicht selbst Ontologie sein kann.
Dazu paßt H's Vorgehen, von der "Alltäglichkeit" auszugehen, eben vom Man.
Die Berufung auf die Dichter und Seher paßt nun wohl zur Fundierungsstrategie; aber doch wohl nicht so ohne weiteres zur "Alltäglichkeit" des Man.

Für das Nachdenken hierüber könnte man noch auf Hans Blumenberg hinweisen - auf seine Vorstellung, daß
1. Begriffe sowieso immer metaphorisch sind
2. auch der Mythos eine legitime Form der Rationalität ist.




Nachstehend Goethe Faust Verse 11471–11486




Mitternacht
Vier graue Weiber treten auf.
ERSTE. Ich heiße der Mangel.

ZWEITE. Ich heiße die Schuld.

DRITTE. Ich heiße die Sorge.

VIERTE. Ich heiße die Not.

ZU DREI. Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.

MANGEL. Da werd ich zum Schatten.

SCHULD. Da werd ich zunicht.

NOT. Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

SORGE.
Ihr, Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.
Sorge verschwindet.
MANGEL. Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier!

SCHULD. Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.

NOT. Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

ZU DREI. Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - Tod.

FAUST im Palast.
Vier sah ich kommen, drei nur gehn;
Den Sinn der Rede konnt ich nicht verstehn.
Es klang so nach, als hieß es: Not,
Ein düstres Reimwort folgte: Tod!
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab ich mich ins Freie nicht gekämpft.
Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
Da wärs der Mühe wert, ein Mensch zu sein!
Das war ich sonst, eh ichs im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
Wenn auch Ein Tag uns klar-vernünftig lacht,
In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht!
Wir kehren froh von junger Flur zurück:
Ein Vogel krächzt! Was krächzt er? Mißgeschick!
Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt!
Und so verschüchtert, stehen wir allein. -
Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
Erschüttert.
Ist jemand hier?

SORGE. Die Frage fordert Ja!

FAUST. Und du, wer bist denn du?

SORGE. Bin einmal da.

FAUST. Entferne dich!

SORGE. Ich bin am rechten Ort.

FAUST erst ergrimmt, dann besänftigt, für sich.
Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort!

SORGE. Würde mich kein Ohr vernehmen,
Müßt es doch im Herzen dröhnen;
In verwandelter Gestalt
Üb ich grimmige Gewalt:
Auf den Pfaden, auf der Welle,
Ewig ängstlicher Geselle,
Stets gefunden, nie gesucht,
So geschmeichelt wie verflucht! -
Hast du die Sorge nie gekannt?

FAUST. Ich bin nur durch die Welt gerannt!
Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, ließ ich fahren,
Was mir entwischte, ließ ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht
Und abermals gewünscht und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt: erst groß und mächtig,
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um:
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm!
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen?
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

SORGE. Wen ich einmal mir besitze,
Dem ist alle Welt nichts nütze:
Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bei vollkommnen äußern Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen,
Und er weiß von allen Schätzen
Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle,
Sei es Wonne, sei es Plage,
Schiebt ers zu dem andern Tage,
Ist der Zukunft nur gewärtig,
Und so wird er niemals fertig.

FAUST. Hör auf! so kommst du mir nicht bei!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
Fahr hin! Die schlechte Litanei,
Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

SORGE. Soll er gehen? soll er kommen?
Der Entschluß ist ihm genommen;
Auf gebahnten Weges Mitte
Wankt er tastend halbe Schritte.
Er verliert sich immer tiefer,
Siehet alle Dinge schiefer,
Sich und andre lästig drückend,
Atem holend und erstickend,
Nicht erstickt und ohne Leben,
Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
So ein unaufhaltsam Rollen,
Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
Bald Befreien, bald Erdrücken,
Halber Schlaf und schlecht Erquicken
Heftet ihn an seine Stelle
Und bereitet ihn zur Hölle.

FAUST. Unselige Gespenster! so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend-groß,
Ich werde sie nicht anerkennen!

SORGE. Erfahre sie, wie ich geschwind
Mich mit Verwünschung von dir wende!
Die Menschen sind im ganzen Leben blind:
Nun, Fauste, werde dus am Ende!
Sie haucht ihn an.

FAUST erblindet. Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht:
Was ich gedacht, ich eil es zu vollbringen;
Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann!
Ergreift das Werkzeug! Schaufel rührt und Spaten!
Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende
Genügt ein Geist für tausend Hände.
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