Sonntag, 2. Dezember 2012

11. Kursabend (Lektüre §§ 47; 50 - 53)

Wir sind am Beginn des 2. Abschnitts "Dasein und "Zeitlichkeit"
§ 45
Übersicht über den ganzen 2. Abschnitt
Projektiert
1. Sein zum Tode
2. Gewissen
3. Zeitlichkeit des Daseins
4.Geschichtlichkeit


Nach der Analyse nun eine "URSPRÜNGLICHE existenziale INTERPRETATION".

Ich sehe nicht, daß H. hier zwischen "Analyse" und "Interpretation" unterscheidet (s. S. 232 letzter Absatz: "Die bisherige Interpretation beschränkte sich ... auf die Analyse ...")

Die bisherige Analyse/Interpretation (des Daseins als Sorge) war nicht "ursprünglich".
Unberücksichtigt blieben (233):
1. das EIGENTLICHE Existieren
2. die GANZHEIT des Daseins


Eigentlichkeit und Ganzheit sind NICHT dasselbe.

Von einer SEINSGANZHEIT und einer URSPRÜNGLICHKEIT war schon mal die Rede im Angst-Kapitel (S. 182): Die Angst gibt "den phänomenalen Boden für die explizite Fassung der URSPRÜNGLICHEN SEINSGANZHEIT des DASEINS. Dessen SEIN enthüllt sich als SORGE."
Wir erinnern uns, daß es in SuZ nicht allein um das SEIN geht, sondern um den SINN VON SEIN.
Um diesen SINN der Sorge geht es nun.
Erst dann - heißt es nun - wird "Ursprünglichkeit" gewährleistet sein (S. 233)

Auch die (S. 191 ff. schon behauptete) Ganzheit der Sorge ist noch nicht "ganz genug".
Eben wegen des Ausgangs von der Alltäglicheit.
Aber auch aus folgendem Grunde:

"... muß das Dasein, solange es existiert, seinkönnend je etwas noch nicht sein. Seiendes, dessen Essenz die Existenz ausmacht, widersetzt sich wesenhaft der möglichen Erfassung seines selbst als GANZES Seiendes." (S. 233)

Das, was das Dasein nicht IST, aber SEIN KANN und SEIN WIRD, ist das Ende und der Tod.

Das gesuchte GANZSEIN ist das Zu-Ende-sein des Daseins im Tode
Oder das SEIN ZUM TODE


Dies wird das Thema des 1. Kap. sein: "Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode."


Soweit geht unser Lektüre-Pensum
---
Fehlt noch die EIGENTLICHKEIT.
Und zwar das EIGENTLICHE GANZSEIN (S. 234)
Thema des übernächsten Kursabends.

S. 234: "Die Bezeugung eines EIGENTLICHEN GANZSEINKÖNNENS aber gibt das GEWISSEN."
Dies ist schon Thema des 2. Kap., aber noch nicht unser Thema für diesmal.

Das EIGENTLICHE GANZSEIN-KÖNNEN wird durch das GEWISSEN BEZEUGT.

Mittwoch, 28. November 2012

Hat was, oder!? Auch wenns völlig daneben ist.

Musik (Kunst überhaupt) ist Ausdruck des Lebensgefühls, behauptet Carnap. Und die
Metaphysiker möchten gern ihr Lebensgefühl ausdrücken, wählen aber, da sie unmusikalisch
sind, das falsche Medium, nämlich den Diskurs, die Theorie.

Freitag, 23. November 2012

10. Kursabend (Lektürepensum § 44)

Worum es § 43 geht:

um eine Fundierung der "Realität" im Sein des Daseins.
Realitätscharakter soll aus der Sorge abgeleitet werden.

Realitätsproblem der Neuzeit
- Gibt es überhaupt bewußtseinstranszendentes Seiendes?
- Wenn ja: kann das bewiesen werden?
- Wie steht es mit der Erkennbarkeit?
- Was IST überhaupt Realität?

Fragen 1 und 2 werden in a) behandelt.

H's Position:
- Die trad. Frage nach unabhängiger Außenwelt orientiert sich am "Vorhandenen"
- Dies aber ist fundiert im Umgehen des Daseins mit dem Zuhandenen und damit in der
Korrelation Dasein-Welt.
- H. empfindet es als einen "Skandal", daß ein "Beweis der Außenwelt" überhaupt versucht
wird.
- Bewußtsein (als Problem z.B. der philosophy of mind) ist reine Vorhandenheit

Gegen den "Realismus"
- Der Realismus erklärt Realität durch Wirkungszusammenhänge zwischen Realem - also
erklärt er Realität aus Realität
- Hingegen: DASS ES REALITÄT GIBT, IST SELBST NICHT WIEDER EINE
REALITÄT!

Im Weiteren wird "Realität als Widerständigkeit" nach Dilthey und Scheler diskutiert.
Diese ist aber einfach supponiert.
Aus der Sorge-Struktur hingegen kann sie "abgeleitet" werden.


Summe:
- Realität ist fundiert in Sorge.
- Nicht aber das Seiende als solches - z.B. die Sonne - ist abhängig vom Dasein.

- Die Sonne "gab" es schon "vor" dem Dasein - und wird es auch "nach dem Dasein" "geben".
- Aber "VOR ..." und "NACH ..." haben Realität nur für das Dasein.
- Ebenso das "GAB", bzw. "WIRD GEBEN".
- Realität ist ein SEINSVERSTÄNDNIS DES DASEINS.

HAUPTSUMME: Dasein kann nicht von Realität her interpretiert werden - sondern genau umgekehrt verhält es sich.

REALITÄT ist fundiert in SORGE.


---

§ 44


Längster Paragraph
Abschluß des 1. Abschnitts
Übergang zum 2. Abschnitt

Frage nach Zusammenhang Dasein - Wahrheit

Als im Dasein fundiert haben sich bisher gezeigt.
- Realität
- Selbstbewußtsein
- Intersubjektivität

"Alles ist Dasein."
Etwa auch die "Wahrheit"?
Was ist überhaupt Wahrheit?


a) Geht es um traditionelle Wahrheitsbegriffe
- hier ist v.a. der korrespondenztheoretische Wahrheits-Begriff wichtig: Wahrheit
als Übereinstimmung einer Aussage mit einem Sachverhalt.
- Wahrheit ist hier eine Bestimmung der Aussage. Nur Aussagen sind wahr - nicht etwa
Dinge oder Sachverhalte.

b) geht es um H's eigenen W.-Begriff: W. als aletheia - als Unverborgenheit.
- H. versteht W. nicht als Aussagenwahrheit, sondern als Sachverhalts-W.
- Jene ist in dieser fundiert.

c) Versucht H. diese Wahrheit als Unverborgenheit als eine Seinsweise des Daseins auf-
zufassen.

Am Ende werden
1. Sein (nicht Seiendes)
2. Wahrheit
3. Dasein
"enggeführt"

Sein, worauf die Daseinsanalyse ja zielt, und Wahrheit sind "gleichursprünglich" (230).

Das Dasein ist "immer schon in der Wahrheit" = "versteht immer schon"= ist immer schon auf einen letzten Sinn (den von Sein) bezogen.
Das Dasein hat zum Sein immer schon ein "Seinsverhältnis"
Dasein ist (nach allem) Sorge
Aus der Sorge (dem Sinn von Sorge) muß die Frage nach dem Sinn von Sein ausgelegt werden.

Der Sinn der Sorge wird sich als "Zeitlichkeit" zeigen
- Vorlaufen zum Tod
- aber auch Geschichtlichkeit des Daseins (Programm des "Destruktion der Geschichte der Metaphysik")

Donnerstag, 22. November 2012

Was hat eigentlich eine Fabel (wie die Hyginus-Fabel über die Cura) in einem philosophischen Text verloren?

H. sieht in der Cura-Fabel ein "vorontologisches Zeugnis" zur "Bewährung" seiner "existenzial-ontologischen" Interpretation des Daseins als Sorge, dessen "Beweiskraft zwar nur geschichtlich" ist (197).

"Vorontologisch" schillert meiner Meinung nach zwischen
1. die Befunde der Existenzial-Ontologie schon im Blick, aber noch nicht über deren Begrifflichkeit verfügend.
2. noch nicht im Banne der historischen Ontologien, die ja nach H. alle ursprünglichen Impulse verdorben haben.

Existenzial-ontologisch ist das Dasein als "Sich-vorweg-schon-sein...." (192) "Sorge", ein Name zunächst nur für diese Bindestrichformel, später aber reichert er sich noch weiter an.

Die "antike Fabel der Cura", zwar von Hyginus überliefert und romanisiert, aber natürlich griechisch, ferner die Hinweise auf Herder und Goethe, dann auf Seneca, mögen für die These stehen, daß "vorontologisch" im Sinne von 2. man "immer schon" den Menschen als Geschöpf und Abbild der Sorge aufgefaßt hat" - und eben nicht primär als Kompositum aus Geist und Erde, - ferner als "temporales" Wesen (wegen der Mitwirkung von Saturn/Chronos).

Unterstellung: Die Dichter (weil sie Seher sind?) bleiben über die Zeiten näher am "Ursprung" oder am "Leben" als die Philosophen.

Klar ist: es geht H. um eine Fundierung der Ontologie in einer Sphäre, die nicht selbst Ontologie sein kann.
Dazu paßt H's Vorgehen, von der "Alltäglichkeit" auszugehen, eben vom Man.
Die Berufung auf die Dichter und Seher paßt nun wohl zur Fundierungsstrategie; aber doch wohl nicht so ohne weiteres zur "Alltäglichkeit" des Man.

Für das Nachdenken hierüber könnte man noch auf Hans Blumenberg hinweisen - auf seine Vorstellung, daß
1. Begriffe sowieso immer metaphorisch sind
2. auch der Mythos eine legitime Form der Rationalität ist.




Nachstehend Goethe Faust Verse 11471–11486




Mitternacht
Vier graue Weiber treten auf.
ERSTE. Ich heiße der Mangel.

ZWEITE. Ich heiße die Schuld.

DRITTE. Ich heiße die Sorge.

VIERTE. Ich heiße die Not.

ZU DREI. Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.

MANGEL. Da werd ich zum Schatten.

SCHULD. Da werd ich zunicht.

NOT. Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.

SORGE.
Ihr, Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein.
Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.
Sorge verschwindet.
MANGEL. Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier!

SCHULD. Ganz nah an der Seite verbind ich mich dir.

NOT. Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.

ZU DREI. Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!
Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - Tod.

FAUST im Palast.
Vier sah ich kommen, drei nur gehn;
Den Sinn der Rede konnt ich nicht verstehn.
Es klang so nach, als hieß es: Not,
Ein düstres Reimwort folgte: Tod!
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab ich mich ins Freie nicht gekämpft.
Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
Da wärs der Mühe wert, ein Mensch zu sein!
Das war ich sonst, eh ichs im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
Wenn auch Ein Tag uns klar-vernünftig lacht,
In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht!
Wir kehren froh von junger Flur zurück:
Ein Vogel krächzt! Was krächzt er? Mißgeschick!
Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt!
Und so verschüchtert, stehen wir allein. -
Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
Erschüttert.
Ist jemand hier?

SORGE. Die Frage fordert Ja!

FAUST. Und du, wer bist denn du?

SORGE. Bin einmal da.

FAUST. Entferne dich!

SORGE. Ich bin am rechten Ort.

FAUST erst ergrimmt, dann besänftigt, für sich.
Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort!

SORGE. Würde mich kein Ohr vernehmen,
Müßt es doch im Herzen dröhnen;
In verwandelter Gestalt
Üb ich grimmige Gewalt:
Auf den Pfaden, auf der Welle,
Ewig ängstlicher Geselle,
Stets gefunden, nie gesucht,
So geschmeichelt wie verflucht! -
Hast du die Sorge nie gekannt?

FAUST. Ich bin nur durch die Welt gerannt!
Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, ließ ich fahren,
Was mir entwischte, ließ ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht
Und abermals gewünscht und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt: erst groß und mächtig,
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um:
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm!
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen?
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!

SORGE. Wen ich einmal mir besitze,
Dem ist alle Welt nichts nütze:
Ewiges Düstre steigt herunter,
Sonne geht nicht auf noch unter,
Bei vollkommnen äußern Sinnen
Wohnen Finsternisse drinnen,
Und er weiß von allen Schätzen
Sich nicht in Besitz zu setzen.
Glück und Unglück wird zur Grille,
Er verhungert in der Fülle,
Sei es Wonne, sei es Plage,
Schiebt ers zu dem andern Tage,
Ist der Zukunft nur gewärtig,
Und so wird er niemals fertig.

FAUST. Hör auf! so kommst du mir nicht bei!
Ich mag nicht solchen Unsinn hören.
Fahr hin! Die schlechte Litanei,
Sie könnte selbst den klügsten Mann betören.

SORGE. Soll er gehen? soll er kommen?
Der Entschluß ist ihm genommen;
Auf gebahnten Weges Mitte
Wankt er tastend halbe Schritte.
Er verliert sich immer tiefer,
Siehet alle Dinge schiefer,
Sich und andre lästig drückend,
Atem holend und erstickend,
Nicht erstickt und ohne Leben,
Nicht verzweiflend, nicht ergeben.
So ein unaufhaltsam Rollen,
Schmerzlich Lassen, widrig Sollen,
Bald Befreien, bald Erdrücken,
Halber Schlaf und schlecht Erquicken
Heftet ihn an seine Stelle
Und bereitet ihn zur Hölle.

FAUST. Unselige Gespenster! so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend-groß,
Ich werde sie nicht anerkennen!

SORGE. Erfahre sie, wie ich geschwind
Mich mit Verwünschung von dir wende!
Die Menschen sind im ganzen Leben blind:
Nun, Fauste, werde dus am Ende!
Sie haucht ihn an.

FAUST erblindet. Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht:
Was ich gedacht, ich eil es zu vollbringen;
Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann!
Ergreift das Werkzeug! Schaufel rührt und Spaten!
Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende
Genügt ein Geist für tausend Hände.

Sonntag, 18. November 2012

Zum 9. Kursabend

Lektüre: S. 180 – 200 (Angst und Sorge)


Im 6. Kapitel (dem letzten des Ersten Abschnitts), das den Titel Die Sorge als Sein des Daseins hat,
- werden die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst
- das Dasein wird als Sorge bestimmt
- und es wird – über die Sorgestruktur - ein Übergang für die späteren Analysen zur Zeitstruktur gemacht.
Das 6. Kap. ist ein notwendiges Bindeglied zwischen dem 1. (Analyse des Daseins) und dem 2. Abschnitt (Dasein und Zeitlichkeit)






Der § 39 gibt einen Überblick über das 6. Kapitel. - Kann ausgelassen werden.
Zunächst gibt er zwei Motive für die Konzeption der §§ 40 bis 42.

1. H. will verhindern, dass durch die Analysen der Strukturmomente die Einheitlichkeit und Ganzheit des Daseins aus dem Blick gerät. -
- Die §§ 40, 41 zeigen diese Einheit und Ganzheit als Sorgestruktur des Daseins, und zwar an der Befindlichkeit der Angst.

2. H. begegnet vorbeugend Einwänden, sein Konzept des Daseins als InderWeltSein sei möglicherweise bloße Willkür.
- Im § 42 dient die Cura-Fabel des Hyginus einer „Bewährung“ seiner Setzung des Daseins als Sorge. Allgemein sollen philos. Legitimationen nicht deduzieren oder konstruieren, sondern sich an „vorphilos. Phänomene“ binden.

H. bestimmt die gesuchte Einheit des Daseins näher als die Einheit von Faktizität/Geworfenheit und Existenzialität/Entwurf.
In der Angst im Sinne H's
- flüchten wir vor uns selbst in das Man (Verfallenheit)
- kehren wir uns von uns ab und erfassen uns gerade dadurch
So erschließt die Angst das Dasein als Einheit sowohl von Faktizität als auch von Existenzialität als auch von Verfallenheit.

H's Un-Wort dafür: Sich-vorweg-schon-sein-in (der Welt) – als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden) (S. 192)
Kurz: „Sorge“

Samstag, 3. November 2012

Ein paar Versuche zur "Phänomenologie"

Zum Ende dieser Versuche hin bin ich immer unzufriedener geworden. Der Versuch, etwas zu klären, führt, konsequent, ins Dunkle.

Christian H.



(1) Ph. sucht einen unmittelbaren - nicht also durch diskursive Begriffsoperationen, Philosophische Traditionen, Konventionen etc. – vermittelten Zugang zu den „Sachen“ (vorurteilsloses Denken und Anschauen).
(2) Es gibt trügerische Evidenzen. Man hält aber daran fest, daß es auch wahre Evidenzen gibt. Die P. bemüht sich, beide zu unterscheiden.

(3) Wir haben, so die These, diesen unmittelbaren Zugang:
3.1 wegen der „Intentionalität“ (fast) aller unserer mentalen Bewußtseins-Momente – wie Erfahren, Wahrnehmen, Erinnern, Lieben, Fürchten, bewerten, begehren etc. - Alle diese „Vorgänge“ unseres bewußten Innenlebens sind immer auf Objekte der Außenwelt gerichtet gerichtet – und andererseits sind uns die Objekte der Außenwelt nur in diesen innermentalen „Vorgängen“ als Erlebnisse gegeben. (Es gibt natürlich auch Wechselwirkungen zwischen uns und der Außenwelt, die nicht bewußt ist, die wir hier aber nicht betrachten.)
3.2 … weil diese Objekte nicht einfach „wie sie sind“ intendiert werden, sondern „als“ etwas intendiert werden („Nadelöhr der Ph.“, sagt B. Waldenfels; die Dinge müssen durch dies Nadelöhr), nämlich als erfahrene, wahrgenommene, erinnerte, geliebte, gefürchtete etc. - Vor allem auch: als „wirklich“ beurteilte. Husserl unterscheidet zwischen dem Gegenstand, DER intendiert wird, und dem Gegenstand, SO WIE er intendiert wird.

(4) Entscheidend ist
4.1 Ein intentionales Erlebnis ist eine untrennbare Zweiheit von „intentionalem“ Erlebnisakt und intendiertem Gegenstand (Noesis und Noema, wie Husserl sagt).
4.2 Das „Wie“ oder „Als“ (die Bedeutung des Gegenstandes; seine räumlichen, zeitlichen, modalen etc. Aspekte; daß er z.B. als in Berlin, als im Jahre 2012, als „wirklich“ aufgefaßt wird), das Wie oder Als ist nie ein „objektives“ Was des Objekts. Bedeutungen gehören nicht dem Objekt an, aber auch nicht einfach dem „Bewußtsein“.
4.3 Sondern: Der Erlebende ist in sich selbst „draußen“ bei anderem, er überschreitet sich.

(5) Kein Gegenstand ohne Als (Bedeutung). Mit jedem Als aber bin ich über mich hinaus bei den Gegenständen.
(6) Das ist (oder sei) die Überwindung des Cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa.

(7) Der locus classicus zur Intentionalität von Franz Brentano: „Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Ausdrücken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (worunter / hier nicht eine Realität zu verstehen ist), oder die immanente Gegenständlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl nicht jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem Urteile ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse gehasst, in dem Begehren begehrt usw. Diese intentionale Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließlich eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches.“

(8) Die Ph. Kann nun die Grundstrukturen dieser Weisen, Etwas als Etwas aufzufassen, untersuchen und sich dabei immer zugleich bei der „Sache“ glauben.
(9) Man könnte von einer Verallgemeinerung des Kantischen Transzendentalansatzes (Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung) reden: man sucht nun nach Bedingungen der Möglichkeit, Gegenstände wahrzunehmen, zu lieben, für real zu halten, für wertvoll, zu wollen etc.

(10) Noch eine Bemerkung zu Heideggers eigener Version:
(11) Während bei Hussel die Vorstellung leitend ist, daß der intentionale Akt ein „Bewußtseinsakt“ ist, versucht Heidegger eine „pragmatische“ Fundierung. Husserl untersucht die Bedeutungen vor mehr theoretischen/betrachtenden Horizonten, Heidegger ist auf Handlungszusammenhänge als konstitutive Welten aus.
(12) Bis jetzt haben wir In-der-Welt-Sein und Mit-Sein und Man untersucht.
(13) Mit beidem haben wir Überlegungen, daß und wie wir immer schon auf Gegenstände bezogen sind
(14) Es deutet sich an, daß Phänomenologie nach Heidegger nicht zu „ontischen“ Resultaten kommt, sondern zu transzendental-ontologischen.
(15) Er zeigt also NICHT (das Ontische), daß die real existierenden Leute – faktisch!!! - alle wie die „Masse“ sich verhalten. (Keine Medienschelte etwa, die man auch anders sehen könnte).
(16) Sondern: sie sind so EXISTENZIAL. (Hier kann man leider nicht fragen WAS heißt das)
(17) Oder eben: nicht H. zeigt das. Wenn Zeigen heißt: Methoden anwenden, Instrumente und Theoreme etc. in POSITION Anschlag bringen.
(18) Die Grundschwierigkeit (die zur Wende führen wird): Phän. soll sein, daß die Sachen SICH SELBST zeigen.
(19) Ph. ist eben doch keine Methode. Methode ist griech. für Weg. Weg kann nur „Holzweg“ sein, wo man umkehren muß.

Donnerstag, 1. November 2012

7. Kursabend




Hausaufgabe zum In-Sein

S. 134 – 138 2. Abs. (Gestimmtheit)
S. 140 – 142 (Furcht)
S. 142 – 146 1. Abs. (Dasein als Verstehen)



Ausgangsfrage: Wie ist das Dasein „in“ der Welt?

Setzung: „Da-sein ist „Erschlossenheit“ . (Der letzte Absatz auf S. 132 enthält Hinweise zum Ausdruck „Da“ des Da-sein. (Die Kasperle-Frage: „Seid ihr alle da“ bezieht sich vermutlich nicht auf eine örtliche Anwesenheit, sondern auf ein mentales „Präsentsein“ - wie es auch anklingt in „Ich bin heute nicht richtig da.“)
Nehmt dazu den 1. Absatz S. 133

Exkurs
Jochen fragte in der Kneipe (warum nicht im Kurs?): Wo nimmt H. das immer her, z.B. so eine Feststellung. Könnte es nicht auch anders sein? Weder argumentiert H., noch führt er irgendwelche empirischen Erhebungen an.
Dazu: H. ist Phänomenologe, ein Phänomenologe „argumentiert“ nicht und „erhebt“ nicht., d.h. er unternimmt es, die „Sachen“ dahin zu bringen (durch Reduktion von immer vorhandenem Vorwissen), „sich selbst zu zeigen“.

Er zeigt die Bedingungen auf, überhaupt zu argumentieren und überhaupt zu erheben.
Dagegen läßt sich mancherlei sagen. Außerdem "Er zeigt ..." ist noch nicht "Die Sachen zeigebn sich selbst".
Dazu gleich.

Aber die Grundthese der Phän. ist doch einleuchtend : Es kann nicht sein, daß wir gar nicht mit dem Wissen oder den "Sachen" in Verbindung stehen. Auch wenn wir NICHT wissen, läßt sich das nur sagen auf einem Untergrund, der es uns eben möglich macht: zu wissen und nicht zu wissen.
Wenn sie nicht einleuchtet, muß man sagen können: es gibt einen Hintergrund, der es möglich macht, daß uns etwas nicht einleuchtet. Damit sind wir „ontologisch“ mit dem Einleuchten/Nichteinleuchten verbunden. Wir SIND immer schon Wesen, denen etwas einleuchtet oder nicht.

Damit sind wir als Da immer in der „Lichtung“.
Und so ist Erschlossenheit zu verstehen. Nicht, daß man schon etwas Bestimmtes als dies und das erschließt. Aber die Grundstellung der Möglichkeit des Erschließens ist eben da.

Was heißt: Etwas zeigt sich selbst?
Beispiel: S. 69: "Das Hämmern selbst entdeckt die spezifische Handlichkeit des Hammers. Die Seinsart von Zeug, in der es sich von ihm selbst her offenbart, nennen wir die Zuhandenheit.". - Zugegeben schwierig: Das Hämmern entdeckt und das Zeug offenbart sich selbst. Aber man bekommt doch einen Schimmer. Oder?



Exkurs Ende

Weiter-Frage: Wie ist die Erschlossenheit konstituiert? Wie kommt es, daß wie DA sind?
Die näheren Bedingungen sind:
- Befindlichkeit/Stimmung (unsere ersten beiden Texte; in unseren - keineswegs subjektiven - Stimmungen erschließt sich uns immer schon die Welt)
-Verstehen (der dritte Text; wir verstehen uns immer schon AUF die Welt; hier ist ein Verstehen gemeint, das unser umgangssprachliches Verstehen oder Nichtverstehen allererst ermöglicht.)
- Rede (ad libitum)
Vorschau
Die Verfallsformen des In-seins (noch mal das MAN) sind Thema der übernächsten Sitzung.


Christian

Freitag, 26. Oktober 2012

thomas bernhard über heidegger

 ich hatte allerdings für EIGENE Texte plädiert. In diesem Fall konnte ich mich aber nicht zurückhalten.

Christian

Entnommen aus: "Alte Meister - Komödie"

(suhrkamp taschenbuch 1553, Suhrkamp-Verlag Frankfurt a.M. 1985)

(Der im Text zitierte Reger ist eine Kunstfigur in der Komödie)

"Tatsächlich erinnert mich Stifter immer wieder an Heidegger, an diesen lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer. Hat Stifter die hohe Literatur auf die unverschämteste Weise total verkitscht, so hat Heidegger, der Schwarzwaldphilosoph Heidegger, die Philosophie verkitscht, Heidegger und Stifter haben jeder für sich, auf seine Weise, die Philosophie und die Literatur heillos verkitscht. Heidegger, dem die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen nachgelaufen sind und den sie mit widerwärtigen und stupiden Doktorarbeiten überhäuft haben schon zu Lebzeiten, sehe ich immer auf seiner Schwarzwaldhausbank sitzen neben seiner Frau, die ihm in ihrem perversen Strickenthusiasmus ununterbrochen Winterstrümpfe strickt mit der von ihr selbst von den eigenen Heideggerschafen heruntergeschorenen Wolle. Heidegger kann ich nicht anders sehen, als auf der Hausbank seines Schwarzwaldhauses, neben sich seine Frau, die ihn zeitlebens total beherrscht und die ihm alle Strümpfe gestrickt und alle Hauben gehäkelt hat und die ihm das Brot gebacken und das Bettzeug gewebt und die ihm selbst seine Sandalen geschustert hat. Heidegger war ein Kitschkopf, sagte Reger, genauso wie Stifter, aber doch noch viel lächerlicher als Stifter, der ja tatsächlich eine tragische Erscheinung gewesen ist zum Unterschied von Heidegger, der immer nur komisch gewesen ist, ebenso kleinbürgerlich wie Stifter, ebenso verheerend größenwahnsinnig, ein Voralpenschwachdenker, wie ich glaube, gerade recht für den deutschen Philosophieeintopf. Den Heidegger haben sie alle mit Heißhunger ausgelöffelt jahrzehntelang, wie keinen anderen und sich den deutschen Germanisten- und Philosophenmagen damit vollgeschlagen. Heidegger hatte ein gewöhnliches, kein Geistesgesicht, sagte Reger, war durch und durch ein ungeistiger Mensch, bar jeder Phantasie, bar jeder Sensibilität, ein urdeutscher Philosophiewiederkäuer, eine unablässig trächtige Philosophiekuh, sagte Reger, die auf der deutschen Philosophie geweidet und darauf Jahrzehntelang ihre koketten Fladen fallen gelassen hat im Schwarzwald. Heidegger war sozusagen ein philosophischer Heiratsschwindler, sagte Reger, dem es gelungen ist, eine ganze Generation von deutschen Geisteswissenschaftlern auf den Kopf zu stellen. Heidegger ist eine abstoßende Episode der deutschen Philosophiegeschichte, sagte Reger gestern, an der alle Wissenschaftsdeutschen beteiligt waren und noch beteiligt sind. Heute ist Heidegger noch immer nicht ganz durchschaut, die Heideggerkuh ist zwar abgemagert, die Heideggermilch wird aber noch immer gemolken. Heidegger in seiner verfilzten Pumphose vor dem verlogenen Blockhaus in Todtnauberg ist mir ja nurmehr noch als Entlarvungsfoto übrig geblieben, der Denkspießer mit der schwarzen Schwarzwaldhaube auf dem Kopf, in welchem ja doch nur immer wieder der deutsche Schwachsinn aufgekocht worden ist, so Reger. Wenn wir alt sind, haben wir ja schon sehr viele mörderische Moden mitgemacht, alle diese mörderischen Kunstmoden und Philosophiemoden und Gebrauchsartikelmoden. Heidegger ist ein gutes Beispiel dafür, wie von einer Philosophiemode, die einmal ganz Deutschland erfaßt gehabt hat, nichts übrigbleibt, als eine Anzahl lächerlicher Fotos und eine Anzahl noch viel lächerlicherer Schriften. Heidegger war ein philosophischer Marktschreier, der nur Gestohlenes auf den Markt getragen hat, alles von Heidegger ist aus zweiter Hand, er war und ist der Prototyp des Nachdenkers, dem zum Selbstdenken alles, aber auch wirklich alles gefehlt hat. Heideggers Methode bestand darin, fremde große Gedanken mit der größten Skrupellosigkeit zu eigenen kleinen Gedanken zu machen, so ist es doch. Heidegger hat alles Große so verkleinert, daß es deutscbmäglich geworden ist, verstehen Sie, deutschmöglich, sagte Reger. Heidegger ist der Kleinbürger der deutschen Philosophie, der der deutschen Philosophie seine kitschige Schlafhaube aufgesetzt hat, die kitschige schwarze Schlafhaube, die Heidegger ja immer getragen hat, bei jeder Gelegenheit. Heidegger ist der Pantoffel- und Schlafhaubenphilosoph der Deutschen, nichts weiter. Ich weiß nicht, sagte Reger gestern, immer wenn ich an Stifter denke, denke ich auch an Heidegger und umgekehrt. Es ist doch kein Zufall, sagte Reger, daß Heidegger ebenso wie Stifter vor allem immer bei den verkrampften Weibern beliebt gewesen ist und noch heute beliebt ist, wie die betulichen Nonnen und die betulichen Krankenschwestern den Stifter sozusagen als Lieblingsspeise essen, essen sie auch den Heidegger. Heidegger ist noch heute der Lieblingsphilosoph der deutschen Frauenwelt. Der Frauenpbilosoph ist Heidegger, der für den deutschen Philosophieappetit besonders gut geeignete Mittagstischphilosoph direkt aus der Gelehrtenpfanne.

Wenn Sie in eine kleinbürgerliche oder aber auch in eine aristokratisch-kleinbürgerliche Gesellschaft kommen, wird Ihnen sehr oft schon vor der Vorspeise Heidegger serviert, Sie haben Ihren Mantel noch nicht ausgezogen, wird Ihnen schon ein Stück Heidegger angeboten, Sie haben sich noch nicht hingesetzt, hat die Hausfrau Ihnen schon sozusagen mit dem Sherry Heidegger auf dem Silbertablett hereingebracht. Heidegger ist eine immer gut zubereitete deutsche Philosophie, die überall und jederzeit serviert werden kann, sagte Reger, in jedem Haushalt. Ich kenne keinen degradierteren Philosophen heute, sagte Reger. Für die Philosophie ist Heidegger ja auch erledigt, wo er noch vor zehn Jahren der große Denker gewesen ist, spukt er jetzt nurmehr noch sozusagen in den pseudointellektuellen Haushalten und auf den pseudointellektuellen Gesellschaften herum und gibt ihnen zu ihrer ganzen natürlichen Verlogenheit, noch eine künstliche. Wie Stifter, ist auch Heidegger ein geschmackloser, aber ohne Schwierigkeiten verdaulicher Lesepudding für die deutsche Durchschnittsseele. Mit Geist hat Heidegger ebenso wenig zu tun, wie Stifter mit Dichtung, glauben Sie mir, diese beiden sind, was Philosophie und was Dichtung betrifft, soviel wie nichts wert, wobei ich aber doch Stifter höher ein,schätze als Heidegger, der mich ja immer abgestoßen hat, denn alles an Heidegger ist mir immer widerwärtig gewesen, nicht nur die Schlafhaube auf dem Kopf und die selbstgewebte Winterunterhose über seinem von ihm selbst eingeheizten Ofen in Todtnauberg, nicht nur sein selbstgeschnitzter Schwarzwaldstock, eben seine selbstgeschnitzte Schwarzwaldphilosophie, alles an diesem tragikomischen Mann war mir immer widerwärtig gewesen, stieß mich immer zutiefst ab, wenn ich nur daran dachte; ich brauchte nur eine Zeile von Heidegger zu kennen, um abgestoßen zu sein und erst beim Heideggerlesen, sagte Reger; Heidegger habe ich immer als Scharlatan empfunden, der alles um sich herum nur ausgenützt und sich in diesem seinem Ausnützen auf seiner Todtnaubergbank gesonnt hat. Wenn ich denke, daß selbst übergescheite Leute auf Heidegger hereingefallen sind und daß selbst eine meiner besten Freundinnen eine Dissertation über Heidegger gemacht hat, und diese Dissertation auch noch im Ernst gemacht hat, wird mir heute noch übel, sagte Reger. Dieses nichts ist ohne Grund, ist das Lächerlichste, so Reger. Aber den Deutschen imponiert das Gehabe, sagte Reger, ein Gehabeinteresse haben die Deutschen, das ist eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften. Und was die Österreicher betrifft, so sind sie in allen diesen Punkten noch viel schlimmer. Ich habe eine Reihe von Fotografien gesehen, die eine zuhöchst talentierte Fotografin von Heidegger, der immer ausgesehen hat wie ein pensionierter feister Stabsoffizier, gemacht hat, sagte Reger, und die ich Ihnen einmal zeigen werde; auf diesen Fotografien steigt Heidegger aus seinem Bett, steigt Heidegger in sein Bett wieder hinein, schläft Heidegger, wacht er auf, zieht er seine Unterhose an, schlüpft er in seine Strümpfe, macht er einen Schluck Most, tritt er aus seinem Blockhaus hinaus und schaut auf den Horizont, schnitzt er seinen Stock, setzt er seine Haube auf, nimmt er seine Haube vom Kopf, hält er seine Haube in den Händen, spreizt er die Beine, hebt er den Kopf, senkt er den Kopf, legt er seine rechte Hand in die linke seiner Frau, legt seine Frau ihre linke Hand in seine rechte, geht er vor dem Haus, geht er hinter dem Haus, geht er auf sein Haus zu, geht er von seinem Haus weg, liest er, ißt er, löffelt er Suppe, schneidet er sich ein Stück (selbstgebackenes) Brot ab, schlägt er ein (selbstgeschriebenes) Buch auf, macht er ein (selbstgeschriebenes) Buch zu, bückt er sich, streckt er sich und so weiter, sagte Reger. Es ist zum Kotzen. Sind die Wagnerianer schon nicht zum Aushalten, erst die Heideggerianer, sagte Reger. Aber natürlich ist Heidegger nicht mit Wagner zu vergleichen, der ja tatsächlich ein Genie gewesen ist, auf den der Begriff Genie tatsächlich zutrifft wie auf keinen andern, während Heidegger doch nur ein kleiner philosophischer Hintermann gewesen ist. Heidegger war, das ist klar, der verhätscheltste deutsche Philosoph in diesem Jahrhundert, gleichzeitig ihr unbedeutendster. Zu Heidegger pilgerten vor allem jene, die die Philosophie mit der Kochkunst verwechseln, die die Philosophie für ein Gebratenes und Gebackenes und Gekochtes halten, was ganz und gar dem deutschen Geschmack entspricht. Heidegger hielt in Todtnauberg Hof und ließ sich auf seinem philosophischen Schwarzwaldpodest jederzeit wie eine heilige Kuh bestaunen. Selbst ein berühmter und gefürchteter norddeutscher Zeitschriftenherausgeber kniete andachtsvoll vor ihm mit offenem Mund, als erwartete er in der untergehenden Sonne von dem auf seiner Hausbank sitzenden Heidegger sozusagen die Geisteshostie. Alle diese Leute pilgerten nach Todtnauberg zu Heidegger und machten sich lächerlich, sagte Reger. Sie pilgerten sozusagen in den philosophischen Schwarzwald und auf den heiligen Heideggerberg und knieten sich vor ihr Idol. Daß ihr Idol eine totale Geistesniete war, konnten sie in ihrem Stumpfsinn nicht wissen. Sie ahnten es nicht einmal, sagte Reger. Die Heideggerepisode ist aber doch als Beispiel für den Philosophenkult der Deutschen aufschlußreich. Sie klammern sich immer nur an die falschen, sagte Reger, an die ihnen entsprechenden, an die stupiden und dublosen."
logo

philorix

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

wittgenstein und religion...
christian h. zu stefan und noch mal zu christian b.:...
neuruppino - 3. Apr, 12:23
aprosteriori auf der...
Jochen fragt …wieso Urteile a priori notwendige Wahrheiten...
neuruppino - 18. Mär, 18:54
Zu Jochens Vorschlag,...
http://tinyurl.com/pep525g S. 13, 14 !!!! Schöner...
neuruppino - 18. Mär, 18:51
2 begriffsklärungen
liebe mitstreiter, zu divinatorisch sagt der duden...
christian b - 6. Mär, 01:19
hola mitsammen, jemand...
hola mitsammen, jemand anderes als die fledermaus...
christian b (Gast) - 30. Okt, 13:21

Links

Suche

 

Status

Online seit 5529 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 19. Jan, 16:52

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren